Virtuelle Hauptversammlungen in Zeiten von COVID-19

Am 28.3.2020 ist das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (BGBl. I, S. 569, 570, „COVID-19-GesR-G“) in Kraft getreten. Dadurch werden virtuelle Hauptversammlungen sowie weitere Erleichterungen zugelassen.
§ 1 Abs. 1 COVID-19-GesR-G erlaubt dem Vorstand zunächst, den Aktionären auch ohne Satzungsermächtigung eine Online-Teilnahme zu ermöglichen. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 COVID-19-GesR-G kann der Vorstand weitergehend entscheiden, dass die Versammlung komplett ohne physische Präsenz der Aktionäre, also vollständig virtuell abgehalten werden kann. Voraussetzungen sind insbesondere, dass die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgt (Nr. 1), die Stimmrechtsausübung über elektronische Kommunikation möglich ist (Nr. 2) und den Aktionären im Wege der elektronischen Kommunikation eine Fragemöglichkeit (Nr. 3) sowie die Möglichkeit zum Widerspruch (Nr. 4) eingeräumt werden. Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, welche Fragen er beantwortet und kann vorgeben, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung eingereicht werden (§ 1 Abs. 2 Satz 2 COVID-19-GesR-G). Außerdem kann der Vorstand die Frist zur Einberufung der Hauptversammlung auf 21 Tage verkürzen (statt 30 Tagen, § 123 Abs. 1 AktG); entsprechend verkürzen sich dann auch die Fristen für den Record Date, die Mitteilungsfristen sowie die Frist für Ergänzungsverlangen (§ 1 Abs. 3 COVID-19-GesR-G). Darüber hinaus kann die Hauptversammlung statt in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AktG) bis zu dessen Ende stattfinden (§ 1 Abs. 5 COVID-19-GesR-G). Alle diese Maßnahmen bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 1 Abs. 6 COVID-19-GesR-G). Schließlich können sich Aktionäre bei der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen nicht auf Verletzungen der Vorschriften über die Online-Teilnahme (§ 118 Abs. 1 Satz 3 bis 5, Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 4), der Formvorschriften für Mitteilungen nach § 125 AktG sowie der Vorgaben des Abs. 2 des neuen Gesetzes stützen, es sei denn sie können der Gesellschaft Vorsatz nachweisen (§ 1 Abs. 7 COVID-19-GesR-G). All dies erhöht die Flexibilität der Verwaltung bei der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung erheblich. So wird verhindert, dass wichtige Beschlüsse (z.B. Dividenden, Kapitalmaßnahmen und Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern) aufgrund von Ausgangsbeschränkungen, Sicherheitsvorschriften oder Bedenken von Aktionären gegen Präsenzversammlungen nicht gefasst werden können. Die Vorschriften finden mit wenigen Modifizierungen entsprechende Anwendung auf KGaA und SE (§ 1 Abs. 8 COVID-19-GesR-G) sowie teilweise auf VVaG (§ 1 Abs. 9 COVID-19-GesR-G). Alle Erleichterungen gelten befristet zunächst nur für Hauptversammlungen im Jahr 2020 (§ 7 Abs. 1 COVID-19-GesR-G).
Bei GmbH können abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG im Jahr 2020 Gesellschafterbeschlüsse auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Stimmabgabe gefasst werden (§§ 2, 7 Abs. 2 COVID-19-GesR-G).
Bemerkenswert ist noch, dass bei Umwandlungen im Jahr 2020 abweichend von § 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG die Stichtagsbilanz zwölf statt normalerweise acht Monate alt sein darf (§§ 4, 7 Abs. 4 COVID-19-GesR-G).
Alle Erleichterungen können durch Rechtsverordnung bis zum 31.12.2021 verlängert werden (§ 8 COVID-19-GesR-G).

Das Gesetz ist Teil des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht v. 27.3.2020 (BGBl. I, S. 569).